Leistungen, die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Menschen zusammenhängen, sind in der Regel umsatzsteuerfrei. Ausnahmen von dieser Regel führen in der Praxis immer wieder zu Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung.
Mit aktuellem Urteil aus August 2015 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass sich eine Pflegekraft, die nicht sämtliche Voraussetzungen des deutschen Umsatzsteuergesetzes erfüllt, unmittelbar auf die europarechtliche Steuerbefreiung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie berufen kann. Voraussetzung ist hierfür, dass die Pflegekraft die Möglichkeit hat, Verträge nach § 77 des Sozialgesetzbuches XI mit Pflegekassen abzuschließen.
Das Urteil betraf eine Klägerin, die als Mitglied eines eingetragenen Vereins für diesen Verein gegen Entgelt als Pflegehelferin tätig war. Über eine Ausbildung als Kranken- oder Altenpflegerin verfügte die Klägerin nicht. Der Verein hatte mit der Klägerin eine Qualitätsvereinbarung abgeschlossen. Der Verein erbrachte umsatzsteuerfreie Pflegeleistungen an Pflegekassen. Dass Mitglieder eines eingetragenen Vereins Pflegeleistungen erbringen, ist in Deutschland sehr verbreitet.
Das Finanzamt behandelte die Tätigkeit der Klägerin für den Verein jedoch als umsatzsteuerpflichtigen Umsatz. Die Klage hatte Erfolg: Nach Auffassung des BFH sind die Leistungen der Klägerin zwar nach nationalem Umsatzsteuerrecht steuerpflichtig, die Klägerin könne sich aber unmittelbar auf die weitergehenden Steuerbefreiungstatbestände nach europäischem Recht berufen. Für die Praxis komme es gerade nicht auf eine direkte vertragliche Beziehung mit der Pflegekasse an. Der BFH wies in seiner Entscheidung ausdrücklich auf den bekannten Pflegenotstand hin und darauf, dass steuerfreie Pflegeleistungen zudem in hohem Interesse des Gemeinwohls wären.
Unser Rat
Pflegekräfte, die bislang nicht unter die nationale Steuerbefreiung nach dem deutschen Umsatzsteuergesetz fallen, können sich unter Hinweis auf die aktuelle BFH-Rechtsprechung auf die Steuerfreiheit nach Europarecht berufen. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie die Finanzverwaltung mit der neuen Rechtsprechung umgehen wird.