Umsatzsteuerlich regelbesteuernde Unternehmer können die ihnen in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen, wenn die mit den Vorleistungen erbrachten eigenen Umsätze grundsätzlich einen Vorsteuerabzug erlauben und wenn eine ordnungsgemäße Rechnung vorliegt. Land & Wirtschaft hatte in Ausgabe 3/2014 ausführlich über die hohen Anforderungen der Finanzverwaltung berichtet.
Der Vorsteuerabzug setzt eine vollständig ordnungsgemäße Rechnung voraus. Ist eine Rechnung in einem oder mehreren Punkten fehlerhaft, kann sie berichtigt werden. Nach Auffassung der Finanzverwaltung und der deutschen Steuergerichte wirkt die Berichtigung jedoch nicht in die Vergangenheit zurück. Es droht deshalb eine Verzinsung der Umsatzsteuernachzahlung mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Zinssatz von sechs Prozent per anno ab dem Jahr, in dem die fehlerhafte Rechnung ausgestellt wurde. Häufigster Praxisfall ist die Feststellung formaler Fehler in Rechnungen im Rahmen einer steuerlichen Betriebs- oder Umsatzsteuersonderprüfung und die rückwirkende Versagung des Vorsteuerabzugs aufgrund der formalen Mängel.
Entgegen der Rechtsauffassung der deutschen Finanzgerichte entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil aus September 2016, dass eine rückwirkende Berichtigung fehlerhafter Rechnungen möglich ist. Der EuGH lässt einen rückwirkenden Vorsteuerabzug – ohne entsprechende Verzinsung – zu. Nach dem Urteil ist für den Vorsteuerabzug entscheidend, ob der Unternehmer eine ordnungsgemäße Rechnung vorlegen kann. Eine berichtigte Rechnung ist eine ordnungsgemäße Rechnung. Der Vorsteuerabzug soll den Unternehmer entlasten und zu einer steuerlichen Neutralität der Umsatzsteuer für Unternehmer führen. Versagt der Fiskus eine rückwirkende Berichtigung, könnte der Vorsteuerabzug erst im Jahr der Berichtigung geltend gemacht werden. Es käme dann zu einer Zinsbelastung für das Jahr, in dem die Vorsteuer aufgrund der fehlerhaften Rechnung erstmalig geltend gemacht wurde. Das Umsatzsteuersystem wäre dann nach Auffassung der Richter aber im Ergebnis nicht mehr steuerlich neutral.
Sofern die Finanzverwaltung die verspätete Vorlage einer ordnungsgemäßen Rechnung sanktionieren will, dürfe sie dies dem EuGH nach nicht durch eine pauschale Verschiebung des Vorsteuerabzugs tun. Eine Sanktion sei allenfalls in Gestalt einer Geldbuße oder einer ähnlichen finanziellen Sanktion denkbar, bei der die Schwere des Verstoßes im Einzelfall berücksichtigt werden könne.
Da im Bereich der Umsatzsteuer die Rechtsprechung unmittelbar auch für das deutsche Steuerrecht maßgebend ist, kann im entschiedenen Urteilsfall künftig eine Berichtigung fehlerhafter Rechnungen auch noch während einer steuerlichen Betriebsprüfung oder Umsatzsteuersonderprüfung vorgenommen werden. Es bleibt nun abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber und die Finanzverwaltung auf diese Rechtsprechung reagieren werden.
Unser Rat
Fallen Fehler in Eingangsrechnungen auf, sollte die Berichtigung durch den Rechnungsaussteller trotz der aktuellen, für die Unternehmen positive EuGH-Rechtsprechung nach wie vor so schnell wie möglich veranlasst werden. Mit längerem Abwarten erhöht sich die Gefahr, dass eine Rechnung trotz des grundsätzlichen gesetzlichen Anspruchs des Leistungsempfängers tatsächlich nicht mehr berichtigt werden kann, zum Beispiel wegen Insolvenz des Unternehmens oder weil das Unternehmen gar nicht mehr besteht.