Viele Steuerbürger oder deren Berater erhalten in diesen Tagen neue Steuerzinsbescheide. Bundesweit haben die Finanzämter begonnen, die gesetzliche Neuregelung der Vollverzinsung umzusetzen. Der Gesetzgeber hatte im vergangenen Jahr die Zinsen auf Steuernachzahlungen und -erstattungen ab 2019 von bisher 0,5 % auf 0,15 % pro Monat (von 6 % auf 1,8 % pro Jahr) abgesenkt. Der Grund: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte im Jahr 2021 den seit Jahrzehnten unverändert hohen Steuerzinssatz von 6 % pro Jahr für Zeiten ab dem Jahr 2014 für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber zur Neuregelung für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 sowie zur zukünftig regelmäßigen Anpassung an das Marktzinsniveau verpflichtet.
Steuerzinsen können bei Steuererstattungen und Steuernachzahlungen anfallen, wenn die Festsetzung nicht innerhalb der zinsfreien Karenzzeit nach Ablauf des Steuerjahres erfolgt. Die Karenzzeit beträgt in der Regel 15 Monate. Insbesondere durch die Folgen der Corona-Pandemie wurden Steuererklärungen in den letzten Jahren vielfach später als sonst üblich eingereicht und von den Finanzämtern bearbeitet. Infolgedessen ergaben sich auch häufiger die Karenzzeiten übersteigende Verzinsungszeiträume.
In allen seitdem offenen Zinsfällen erstellt die Finanzverwaltung nun geänderte Zinsbescheide. Betroffen sind Unternehmer und andere Steuerbürger, die in der Vergangenheit zu viele Steuerzinsen gezahlt haben. Wer in der Vergangenheit von 6 % Guthabenzinsen profitiert hat, muss die überhöhten Zinsen im Regelfall nicht zurückzahlen, hier greift ein Vertrauensschutz. Nachzahlungen können allerdings dann fällig werden, wenn die Finanzämter eine erstmalige Festsetzung von Nachzahlungsund Erstattungszinsen aufgrund der seit September 2021 abzusehenden Einführung einer Neuregelung vorerst ausgesetzt hatten.
Weil mehrere Jahre und Steuerarten betroffen sind, werden häufig auch mehrere Zinsbescheide von den Finanzämtern an die Steuerpflichtigen oder deren Berater verschickt. Die Bescheide sollten genau geprüft werden, insbesondere wenn die Steuerzinsen im Rahmen einer betrieblichen Gewinnermittlung zu berücksichtigen sind.
Unsere Meinung
Die aktuellen Zinsbescheide verursachen einen hohen Bearbeitungs- und Prüfungsaufwand in Zeiten, in denen die Kanzleien ohnehin durch Grundsteuerarbeiten und weitere Bürokratieaufwendungen stark belastet sind. Natürlich war es höchste Zeit, dass die seit langem unverständlich hohen Steuerzinsen abgesenkt werden. Kein Verständnis besteht aber darüber, dass immer wieder erst das BVerfG den Gesetzgeber in die Schranken verweisen muss, bevor mit unverhältnismäßig hohem Aufwand sowohl für die Steuerbürger als auch für die betroffenen Verwaltungen gehandelt wird.
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